Beitrag von Dr. Gerold Holtkamp, 19. November 2024
Kaum jemand weiß, was Pareidolie ist, aber jeder besitzt sie, insbesondere jeder Astronom. Es handelt sich dabei um eine Eigenschaft von uns Menschen, in Dingen oder natürlichen Gebilden uns bekannte Gegenstände oder belebte Wesen zu erkennen. Die ältesten Beispiele sind Sternbilder. Aber auch die heutige Astronomie ist voll davon, wenn auch Gasnebel oder andere Strukturen im All, die nur mit modernen Geräten zu sehen sind, benannt werden. Der Nordamerikanebel ist so ein Beispiel und direkt daneben auch der Pelikannebel. Die wissenschaftlichen Namen sind NGC 7000 bzw. IC 5070.
Auf NGC 7000 habe ich mein Teleskop am 25. und 27. Oktober 2024 gerichtet und unten stehende Aufnahme gemacht. Das Objekt sieht tatsächlich wie Nordamerika aus. Im Folgenden wird es aber nicht um sein Aussehen gehen, sondern es werden einige der astrophysikalischen Eigenschaften des Nebels und seiner Objekte in ihm beleuchtet.
Nordamerikanebel und rechts im Bild der „Schnabel“ des Pelikannebels, Aufnahme am 25. u. 27.10.2024
(bei Mouseover Position der unten beschriebenen Ausschnitte)
Technische Daten:
Teleskop APO 80/600, Kamera QHY268M, Gain 60, Offset 20, Temperatur -10° C,
Antlia-Filter, Belichtungszeit 68 Min L, je 34 Min R G B,
Montierung AZ-EQ6,
Bearbeitung mit AstroArt und Paintnet
Der Nordamerika- und der Pelikannebel gehören derselben H-II-Region an, die etwa 2600 Lichtjahre von uns entfernt und etwa 130 Lichtjahre ausgedehnt ist [1]. Sie sind lediglich für uns auf der Erde scheinbar durch eine große Molekülwolke aus kaltem dichtem Gas getrennt, das den Golf von Mexiko und den Atlantik bildet (Pareidolie). H-II-Regionen bestehen vor allem aus ionisiertem Wasserstoff, der durch starke Strahlung, insbesondere UV-Licht, zum Leuchten angeregt wird. In ihnen entstehen viele junge Sterne.
Lange Zeit bis zum Anfang unseres Jahrhunderts war nicht klar, welcher Stern als starke UV-Quelle geeignet war. Es musste ein junger, sehr massereicher Stern sein. Tatsächlich wurde 2005 der für uns unscheinbare Stern 2MASS J205551.25+435224.6 als der aussichtsreichste Kandidat identifiziert. Er wurde als Stern vom Spektraltyp O5V erkannt. Er ist also jung, groß und sehr heiß. Würde sein Licht nicht durch die o.g. Dunkelwolke 9,6 Magnituden abgeschwächt, wäre er für uns fast so hell wie Albireo [2]. In 2008 wurden zwar weitere mögliche zusätzliche Kandidaten vorgeschlagen, aber bis heute blieb man bei 2MASS J205551.25+435224.6 [3]. 2016 wurde er von einer anderen Forschergruppe Bajamar, dem alten spanischen Namen für die Bahamas, getauft. Außerdem wurde von dieser Gruppe der Spektraltyp auf O3.5 geändert und ein Begleiter (Typ O8) gefunden [4]. Bajamar weist noch eine Besonderheit auf. So jung, wie er ist, müsste er eigentlich noch von anderen jungen Sternen umgeben sein. Bajamar stammt vermutlich – in Projektion auf den Himmelshintergrund – aus dem Gebiet „Nordatlantik“ (Pareidolie), von wo er bei einem bisher unbekannten Ereignis vor 1,6 Mio. Jahren herausgeschleudert wurde. Solch ein Ereignis gab es im „Bermuda“-Bereich auch für andere Sterne ebenfalls vor 1,6 und 1,5 Mio. Jahren. Was als Ursache in Frage kommt, ist unklar [5].
Ein weiteres sehr interessantes Objekt ist das, was man kaum sieht: L 935. Diese schon oben genannte, ausgedehnte dunkle Molekülwolke beheimatet große aktive Gebiete, in denen neue Sterne entstehen. Hier gibt es sogenannte Herbig-Haro-Objekte. Das sind Materiewolken um junge oder im Entstehen begriffene Sterne. Von diesen ausgestoßenes Gas trifft auf Staubwolken, wodurch das Gas zum Leuchten angeregt wird. Es handelt sich also nicht um durch UV-Licht des Sterns Bajamar, das das Leuchten verursacht. Diese Gasbereiche verändern sich aber wohl innerhalb nur weniger tausend Jahre [5].
Der Nordamerikanebel beheimatet noch weit mehr interessante Objekte als hier beschrieben. Dieser Beitrag soll lediglich zeigen, welche Einzelheiten bereits auf Aufnahmen von einem städtischen Beobachtungspunkt aus auch mit Amateurmitteln zu erkennen sind. Der Detailreichtum des Himmels über uns ist fast grenzenlos.
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[1] The Formation of a Stellar Association in the NGC 7000/IC 5070 Complex: Results from Kinematic Analysis of Stars and Gas
Michael A. Kuhn et al, The Astrophysical Journal, 899:128 (30pp), 2020 August 20 https://iopscience.iop.org/article/10.3847/1538-4357/aba19a
[2] The ionizing star of the North America and Pelican nebulae
F. Comerón and A. Pasquali, Astronomy & Astrophysics, Volume 430, Number 2, February I 2005
https://www.aanda.org/articles/aa/abs/2005/05/aa1788/aa1788.html
]3] O-like stars in the direction oft the Northamerica and Pelican Nebulae
Straižys, V. & Laugalys, V. Baltic Astronomy, Vol. 17, p. 143-159
https://articles.adsabs.harvard.edu/pdf/2008BaltA..17..143S
[4] THE GALACTIC O-STAR SPECTROSCOPIC SURVEY (GOSSS). III. 142 ADDITIONAL O-TYPE SYSTEMS
J. Maíz Apellániz et al, The Astrophysical Journal Supplement Series, 224:4 (42pp), 2016 May
https://iopscience.iop.org/article/10.3847/0067-0049/224/1/4/pdf
[5] Star formation in the “Gulf of Mexico”
T. Armond et al, Astronomy & Astrophysics, Volume 528, April 2011, A125
https://www.aanda.org/articles/aa/full_html/2011/04/aa12671-09/aa12671-09.html#R21
[6] The large amplitude outburst of the young star HBC 722 in NGC 7000/IC 5070, a new FU Orionis candidate
E. H. Semkov et al, Astronomy & Astrophysics, Volume 523, L3 (2010)
https://www.aanda.org/articles/aa/pdf/2010/15/aa15902-10.pdf