Radioastronomie – was ist das eigentlich?

Ein kurzer Überblick


Im Zusammenhang mit unserer kosmos-os Exkursion zum Radioteleskop Effelsberg am 21.09.2024 erschien es sinnvoll, sich etwas intensiver mit dem Thema Radioastronomie auseinanderzusetzen, um besser zu verstehen, was an Radioteleskopen und damit auch in Effelsberg eigentlich bearbeitet wird. Hier soll nun ein kurzer Überblick über Radioastronomie erfolgen.

Radioastronomie stellt neben der klassischen Astronomie (visuelle Teleskope und Optiken) eine weitere Möglichkeit dar, die elektromagnetische Strahlung von Objekten auf der Erde wahrzunehmen. Die Erdatmosphäre lässt jedoch nur bestimmte Bereiche von Wellenlängen bis zur Erdoberfläche durch – und nur in diesen kann vom Erdboden aus beobachtet werden.


Abb. 1:  Das optische (O) und das Radiofenster (R) der Erdatmosphäre. Wellenlängen aus den Bereichen W und H lassen sich nur in großen Höhen oder vom Weltraum aus beobachten. Quelle bearbeitet: SVG by Mysid.derivative work: Ariser – This file was derived from: Atmospheric electromagnetic opacity.svg: Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=20376850


Die in Abb. 1 mit W und H gekennzeichneten Bereiche sind also Wellenlängenbereiche, in denen nur aus dem Weltall oder in sehr großer Höhe (Sofia Stratosphären Observatorium [1]) beobachtet werden kann. Auf dem Erdboden sind die bekannten Bereiche des sichtbaren Lichts (Abb. 1 O) für die klassische Astronomie mit Teleskopen geeignet und das sog. Radiofenster (Abb. 1 R), das sich von ca. 3 mm bis 30 m Wellenlänge ausdehnt.

Da sich elektromagnetische Wellen mit Lichtgeschwindigkeit fortbewegen, kann man die Wellenlängen in Frequenzen umrechnen, indem man die Lichtgeschwindigkeit mit dem festen Wert von 299.792.458 m/s durch die Wellenlänge teilt. Entsprechend können Frequenzen in Wellenlängen umgerechnet werden.

Der Zusammenhang lässt sich einfach beschreiben über:

(mit c= Lichtgeschwindigkeit, λ=Wellenlänge, f=Frequenz)


Eine Wellenlänge von 30 cm (0,3 m) entspricht also einer Frequenz von 999,308 MHz:

Rechnung: 299.792.458 m/s / 0,3 m ≈ 999.308.193/s = 999.308.193 Hz = 999,308193 MHz

Radioteleskope arbeiten daher bei Wellenlängen von 0,3 bis 30 m und mit Frequenzen zwischen 10 MHz und 100 GHz.

Um die großen Wellenlängen empfangen zu können, braucht es entsprechend große Öffnungen (Aperturen)– die Teleskope müssen also eine möglichst große Sammelfläche (=> Schüsseldurchmesser) haben. Deshalb sind Radioteleskope i.d.R. größere Empfangsanlagen, die wie die üblichen Satellitenschüsseln zum Fernsehempfang einen großen parabolisch geformten Hauptspiegel haben, der die einfallenden Wellen auf den Brennpunkt (Primärfokus) bündelt. An diesem Primärfokus kann das Signal direkt abgenommen werden, es kann aber auch über einen zweiten dort angebrachten Spiegel (Sekundärspiegel) in den Sekundärfokus am Hauptspiegel zurückgeworfen werden, wo dann die entspr. Empfänger montiert sind. Dieser Sekundärfokus ist dann vor allem bei großen Anlagen deutlich besser erreichbar.


Abb. 2:  Schematische Darstellung eines Radioteleskops mit Strahlengang zum Primärfokus (orange) und bei Nutzung eines Sekundärspiegels zum Sekundärfokus (grün).


Um eine höhere Auflösung zu erhalten, können mehrere Radioteleskope zusammengeschlossen werden, die dann zeitgleich dasselbe astronomische Objekt beobachten. Die empfangenen Signale aller beteiligten Radioteleskope werden dann mithilfe von Atomuhren exakt zeitlich übereinandergelegt und aus den Interferenzen wird ein genaueres Bild des beobachteten Objekts möglich (Interferometrie u. Apertursynthese [2]). Beispiele für solche Apertursynthesen bzw. Interferometer finden sich in Anlagen wie ALMA [3], SKA [4], VLBA [5], JVLA [6], WSRT [7] oder z.B. das koreanische KVN [8].

Radioteleskope müssen aber nicht zwangsläufig beweglich sein, zumal der Bewegung die ungeheure Masse (z.B. Radioteleskop Effelsberg 3200 t) der großen Anlagen entgegensteht. Das aktuell größte Radioteleskop „FAST“ in China [9] ist eine unbewegliche Empfangsschüssel mit 500 m Durchmesser. Die unterschiedlichen Positionen der zu beobachtenden Objekte werden durch Verfahren des Empfängers im Primärfokus an einer Seilkonstruktion über dem riesigen Hauptspiegel erreicht, der im genutzten Bereich von der sphärischen in eine parabolische Form verändert wird. Mit dieser Methode sind immer noch alle Objekte oberhalb von 50° Elevation erreichbar – bewegliche Teleskope können dagegen theoretisch ab Horizont bis 90° Elevation jeden Punkt anfahren.


Was genau beobachtet man mit Radioteleskopen?

Radiostrahlung ist langwellige elektromagnetische Strahlung, die wir mit dem menschlichen Auge nicht wahrnehmen können. Sie lässt sich in thermische und nichtthermische Strahlung unterteilen.


Thermische Strahlung entsteht, wenn sich Elementarteilchen schnell bewegen, d.h., wenn z.B. ein Körper Wärme abstrahlt, weil die Teilchen durch Wärme in schneller Bewegung sind – je wärmer, desto schneller. Max Planck hat diese Wärmeabstrahlung in seinem Strahlungsgesetz beschrieben und gezeigt, dass das Maximum der Strahlungsemission umso weiter im kurzwelligen Bereich liegt, je heißer die Strahlungsquelle (ein idealisierter schwarzer Strahler) ist [10]. Das Wien’sche Verschiebungsgesetz lässt sich aus diesem Planck’schen Strahlungsgesetz ableiten – Wilhelm Wien hatte das Gesetz bereits vor Planck hergeleitet und gezeigt, dass die Wellenlänge der intensivsten Strahlung umgekehrt proportional zur Temperatur ist – verdoppelt sich die Temperatur eines Körpers, so halbiert sich die Wellenlänge der intensivsten Strahlung [11].

Thermische Strahlung erkennt man daran, dass das Planck’sche Strahlungsgesetz gilt, es also eine mehr oder weniger lineare Abhängigkeit zwischen Strahlungsintensität und Wellenlänge gibt. Sehr gut erkennbar ist das z.B. an der Erscheinungsform von sehr heißen, blau erscheinenden und kühleren, eher rötlich erscheinenden Sternen. Eine sehr schöne interaktive Darstellung dazu findet sich auf LEIFIphysik [12].

Für die Radioastronomie interessant ist da die „Frei-Frei-Strahlung“, die durch die freie Bewegung von Teilchen in sehr heißen Gasen abgestrahlt wird. Bei entsprechen hohen Temperaturen zwischen 5.000 und 20.000 K liegen Gase ionisiert (als Plasma) vor, d.h., Elektronen können sich unabhängig von den Protonen „frei“ bewegen. Treffen sie dann aber in ihrer Bewegung auf ein anderes geladenes Teilchen, so werden sie angezogen oder abgestoßen, was zu einer Bahnänderung führt – das Elektron bleibt aber ungebunden, also wieder „frei“ – daher der Name „Frei-Frei-Strahlung“ oder auch „Bremsstrahlung“. Bei jeder Bahnänderung eines geladenen Teilchens wird Radiostrahlung frei. Auf diese Weise lassen sich heiße Gaswolken im Radiobereich sehr gut über die Frei-Frei-Strahlung nachweisen.

Auch die kosmische Hintergrundstrahlung bei 2,725 K kann als thermische Radiostrahlung erfasst werden. Das Intensitätsmaximum liegt jedoch bei einer Wellenlänge von 1,06 mm und ist daher ebenfalls nur in großer Höhe oder aus dem Weltraum beobachtbar.

Ein Sonderfall für die Radioastronomie ist thermische Strahlung kosmischer Staubwolken, die geringe Wärme abstrahlen (Temperatur zw. 10 und 100 K) und dabei ein Strahlungsmaximum bei ca. 290 µm zeigen. Da diese Wellenlängen im Submillimeterbereich liegen, sind sie aufgrund der atmosphärischen Absorption nur in großen Höhen oder im Weltraum nachweisbar – man kann damit die Staubwolken um junge Sterne nachweisen.  

Im Gegensatz zur thermischen Strahlung ist Nichtthermische Strahlung nicht linear temperaturabhängig. Hier wird vor allem die Synchrotronstrahlung radioastronomisch beobachtet. Synchrotronstrahlung entsteht, wenn schnelle, freie Elektronen durch starke Magnetfelder in ihrer Bahn abgelenkt und auf spiralförmige (sog. Spirelli-)Bahnen gelenkt werden – daher wird sie auch „Magneto-Bremsstrahlung“ genannt. Dies geschieht vor allem in den Überresten von Supernovaexplosionen, die damit radioastronomisch gut nachweisbar sind. Darüber hinaus sind auch aktive galaktische Kerne (AGNs) von Galaxien und Quasare starke Synchrotronstrahler, sodass diese sehr gut mit radioastronomischen Mitteln beobachtet oder entdeckt werden können. Die Entstehung der tw. sehr starken kosmischen Magnetfelder ist noch nicht genau geklärt.

Eine ebenfalls nichtthermische Radiostrahlung ist die Linienstrahlung von Gasen. Hierbei senden Gase nach Anregung z.B. durch Photonen Radiostrahlung aus, weil sie dabei Übergänge von diskreten Anregungszuständen auf verschiedenen Ebenen erfahren. Viele Astronomen kennen z.B. die Beobachtung der Hα-Linie des Wasserstoffs, die dadurch zustande kommt, dass das Elektron auf ein höheres Energieniveau (hier Veränderung der Hauptquantenzahl n) gehoben wurde und beim Zurückfallen Licht mit der Wellenlänge 656,281 nm aussendet.  In der Radioastronomie macht man sich den Übergang der sog. Hyperfeinstrukur des Wasserstoffs [13] zunutze. Dabei wird durch Anregung die Spinquantenzahl (Nebenquantenzahl s) von Wasserstoff verändert, und das Elektron wechselt durch einen „spin flip“ vom antiparallelen zum parallelen Spin des Elektrons in Bezug auf das Proton. Dieser Zustand ist geringfügig energiereicher als der Grundzustand (Unterschied 5,88 µeV) und sehr stabil – die Halbwertszeit liegt bei ca. 11 Millionen Jahren. Fällt das Elektron aber wieder in den Grundzustand (antiparalleler Spin) zurück, so wird die Energie in Form von Radiostrahlung mit einer Frequenz von 1420,405 MHz abgestrahlt. Über den oben beschriebenen Zusammenhang zwischen Frequenz und Wellenlänge entspricht diese Frequenz einer Wellenlänge von ca. 21 cm – die 21 cm Linie des Wasserstoffs.

Mithilfe der 21 cm Linie kann die Verteilung des Wasserstoffs im All radioastronomisch beobachtet werden. Zusätzlich können durch die Verschiebung der diskreten 21 cm Linie durch Dopplereffekte auch Bewegungen von Gaswolken relativ zum Beobachtungsort aufgezeigt werden, sodass z.B. die Rotation einer Gaswolke sichtbar wird.

Auch andere Gase senden spezifische Linienstrahlung aus – vor allem aufgrund der Rotation der Atome bzw. Moleküle. Eine Übersicht über die entspr. Frequenzen bzw. Wellenlängen radioastronomisch beobachtbarer Gasatome und -moleküle findet sich z.B. im Kap. 5.8 im CRAF Handbook for Radio Astronomy des CRAF (COMITTEE ON RADIO ASTRONOMY FREQUENCIES) [14], das auch darüber hinaus wertvolle Informationen zur Radioastronomie liefert.


Quellen:

[1] Das Stratosphären-Observatorium für Infrarot-Astronomie Sofia  https://de.wikipedia.org/wiki/Stratosph%C3%A4ren-Observatorium_f%C3%BCr_Infrarot-Astronomie

[2] Apertursynthese  https://www.spektrum.de/lexikon/physik/apertursynthese/660

[3] ALMA https://www.eso.org/public/germany/teles-instr/alma/

[4] SKA https://www.mpifr-bonn.mpg.de/forschung/fundamental/ska

[5] VLBA https://public.nrao.edu/telescopes/vlba/

[6] JVLA https://de.wikipedia.org/wiki/Very_Large_Array

[7] WSRT https://de.wikipedia.org/wiki/Westerbork_Synthese_Radio_Telescoop

[8] KVN  https://radio.kasi.re.kr/kvn/main.php

[9] FAST https://fast.bao.ac.cn/

[10] Planck’sches Strahlungsgesetz https://de.wikipedia.org/wiki/Plancksches_Strahlungsgesetz

[11] Wien’sches Verschiebungsgesetz https://de.wikipedia.org/wiki/Wiensches_Verschiebungsgesetz

 [12] Schwarzkörperstrahlung auf https://www.leifiphysik.de/optik/elektromagnetisches-spektrum/ausblick/temperaturstrahlung-und-strahlungsgesetze

[13] Hyperfeinstruktur des Wasserstoffs https://de.wikipedia.org/wiki/HI-Linie

[14] CRAF Handbook for Radio Astronomy https://craf.eu/wp-content/uploads/2015/02/CRAFhandbook3.pdf

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