Der Stern Beteigeuze – ein Roter Überriese

Eine zusammenfassende Beschreibung des linken Schultersterns des Orion

Dr. Achim Tegeler, 08.03.2024


Beteigeuze, der linke Schulterstern des Orion, ist ein Roter Überriese, der spätestens nach seiner deutlichen Verdunkelung Ende 2019 in den Fokus der Wissenschaft und natürlich auch der Amateurastronomie gerückt ist. In dieser Zusammenfassung soll der aktuelle Stand der Fakten zu Beteigeuze dargestellt werden.


Beteigeuze, der linke Schulterstern des Orion, ist ein Gigant im Vergleich zu unserer Sonne. Obwohl dieser Stern nach Rigel nur der zweithellste im Sternbild Orion ist, wird er als Alpha Orionis bezeichnet.

Der Stern wurde bereits in den mittelalterlichen arabischen Schriften des persischen Astronomen Abd ar-Rahman as-Sufi [1] im 10. Jhdt. als „yad al-ǧauzā“ erwähnt. Offenbar wurde im Verlauf der Zeit bei Abschriften der arabische Anfangsbuchstabe „Yā’“ (يـ = ي – mit zwei Punkten) als „Bā’“ (ب = بـ mit einem Punkt) übernommen und damit falsch ins Lateinische transkribiert. So liegt der Ursprung des heutigen Namens Beteigeuze oder international „Betelgeuse“ in dieser falschen Transkription begründet.


Daten und Sternphysik

Neuere Untersuchungen zum ca. 550 Lichtjahre entfernten Stern gehen von einer Masse von ca. 16,5 bis 19 Sonnenmassen aus, die sich auf ein Kugelvolumen von ca. 700-fachem Sonnenradius (R) verteilt – daraus ergibt sich eine gewaltige Oberfläche (490.000 mal so groß wie die Oberfläche der Sonne), über die die Energie der Fusionsreaktion im Innern abgegeben werden kann. Daher zeigt Beteigeuze mit einer effektiven Temperatur von ca. 3600 K auch eine deutlich kühlere Oberfläche als unsere Sonne (ca. 5778 K), und dementsprechend zeigt der Stern ein deutlich ins Rot verschobenes Spektrum (Spektralklasse M1 – M2). Die absolute Leuchtkraft wird mit ca.126.000-facher Sonnenleuchtkraft (∼105.1 L) beschrieben.


Größenverhältnis der Radien von Sonne (1 R) zu Beteigeuze (700 R)

Man geht aktuell davon aus, dass sich der Stern in einem frühen Stadium auf dem Ast der Roten Überriesen (Red Supergiant Branch – RSB) im Hertzsprung-Russel Diagramm befindet. [2]


Rote Überriesen gehören zu den veränderlichen Sternen, die aufgrund der an der Oberfläche auftretenden Konvektionszellen stark in ihrer Helligkeit schwanken können. Die Fusionsreaktion im Innern von Roten Überriesen ist nicht mehr nur auf den Kern beschränkt, in dem das Wasserstoffbrennen (Fusion von Wasserstoff zu Helium) zunächst startete, sondern die Fusionszone des Wasserstoffbrennens verlagert sich langsam schalenförmig in Richtung Sternoberfläche, während im Kern das Heliumbrennen einsetzt und masseabhängig weitere Stufen der Nukleosynthese ablaufen. [3]


Beteigeuze ist mit einem geringen Alter von ca. 10 Millionen Jahren (verglichen mit ca. 4,6 Milliarden Jahren unserer Sonne) aktuell in der Phase des Heliumbrennens, der Wasserstoffvorrat ist fast vollständig zu Helium fusioniert. Der Stern produziert im Innern also durch Fusion kleinerer Atome größere Elemente wie Kohlenstoff, Sauerstoff bis hin zum Eisen. Dabei verliert der Stern große Mengen an Materie durch einen starken Sternwind, der immer wieder die äußeren Hüllen ins All fortträgt.

Es wird durchaus diskutiert, ob Beteigeuze u.U. in weiter zurück liegender Vergangenheit einen Begleiter hatte, dessen Masse (ca. 1 M) akkretiert wurde, was sowohl die hohe Sternmasse von Beteigeuze als auch die auffällig hohe Rotationsgeschwindigkeit erklären würde. [4]

Das Abströmen von Hüllenmaterial im Sternwind und die sich schalenförmig ausbreitenden Fusionsprozesse im Innern verursachen im Zusammenwirken von Gravitation und Strahlungsdruck immer wieder Pulsationsbewegungen, die zu typischen Helligkeitsschwankungen solch roter Überriesen führen. Irgendwann wird der Strahlungsdruck der immer stärker werdenden Gravitation des zusammenfallenden Kerns nichts mehr entgegensetzen können und Beteigeuze wird in einer Supernova vom Typ II(P) kollabieren und die produzierten schweren Elemente in den interstellaren Raum abgeben. Nach den bisher bekannten Daten wird Beteigeuze danach als Neutronenstern enden. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass auch Sterne wie Beteigeuze mit einer Masse von ca. 20 Sonnenmassen durchaus zu schwarzen Löchern kollabieren können. [5]

Wie lange es noch dauert bis Beteigeuze in einer Supernova explodiert, ist Gegenstand vieler Untersuchungen und ebenso vieler Spekulationen. Aktuell geht man davon aus, dass eine Supernova in den nächsten 100.000 Jahren nicht zu erwarten ist. [6]


Wenn Beteigeuze in einer Supernova explodiert, so würde diese Supernova von der Erde aus vermutlich etwa eine Woche lang 10.000 bis 100.000 mal so hell leuchten wie der Stern aktuell, um dann über Monate hinweg als punktförmige Lichtquelle so hell zu strahlen wie ein Halbmond [7] – Beteigeuze wäre auch tagsüber am Himmel sichtbar – es wäre ein tolles astronomisches Erlebnis, diese Supernova beobachten zu können.

Nach Goldberg [7] ist es auch durchaus möglich, dass sich aus dem kollabierten Kern Beteigeuzes nach der Supernova ein Pulsar ausbildet (also ein schnell rotierender Neutronenstern mit entsprechend großem Magnetfeld und Ausbildung von Jets), der die abgestoßenen Überreste der Hülle wie im Krabbennebel (M1/NGC1952) über Jahrhunderte zum Leuchten bringt. Dabei wäre weder die Supernova selbst noch die dabei entstehende elektromagnetische Strahlung (auch Gammastrahlung) für die Erde und das Leben auf der Erde gefährlich. Dafür ist die Entfernung doch zu groß – ein Glück für unseren Heimatplaneten und seine Bewohner!


Nach den Ende 2022 veröffentlichten Daten von Davies et al. ist ein typisches Anzeichen für eine bevorstehende Supernova vom Typ II P, wie sie bei Beteigeuze erfolgen wird, ein Absinken der Helligkeit um etwa 99%. Diese massive Verdunkelung ergibt sich aus einer dichten Materiewolke, die sich ausgehend von mehreren Materieausbrüchen im Verlauf von einigen Monaten vor der Supernova des Sterns um diesen bildet und ihn damit fast vollständig verdunkelt. [8]

Eine so massive Verdunkelung ist bisher bei Beteigeuze nicht beobachtet worden.


Der Helligkeitseinbruch von 2019

Der beobachtete Helligkeitseinbruch (Great Dimming) um bis zu 60% zum Ende des Jahres 2019 wurde vor allem in der Presse und den fachfernen Medien als mögliches Vorzeichen einer bevorstehenden Supernova interpretiert und diskutiert. Die ESO hat Beteigeuze mit dem im Very Large Telescope (VLT) vorhandenen Instrument SPHERE (Spectro-Polarimetric High-contrast Exoplanet REsearch instrument) sowohl vor als auch während der Verdunkelung beobachtet. Die aus dieser Beobachtung stammenden Daten sind bemerkenswert und zeigen, wie sehr sich das Erscheinungsbild des Sterns verändert hatte.


Vergleich der Leuchtkraft vor und während der Verdunkelung von Beteigeuze im Dezember 2019 Rechte bei:  ESO/M. Montargès et al. [9]

Tatsächlich handelte es sich bei der Verdunkelung um eine riesige Wolke von Staub und Gas, die von der Sternoberfläche zufällig in Richtung unserer Beobachtungsachse ausgestoßen wurde. Diese Verdunkelung ist offenbar Teil des bekannten aber nach wie vor nicht vollständig verstandenen Massenverlusts von Überriesen, der sich in Form von ablösenden Schichten der äußeren Sternoberfläche und Sternenwind in Form sich immer mal wieder ereignender großer Materieausbrüche zeigt. Offenbar wurde bei diesem Event etwa 400 Milliarden mal so viel Masse ausgeschleudert wie unsere Sonne bei einem koronalen Massenausbruch verliert. [6]

Der 2022 am Pariser LESIA (Laboratoire d’Études Spatiales et d’Instrumentation en Astrophysique) arbeitende Astrophysiker Miguel Montargès (s. auch o.a. Film) hat mit dem LESIA Team dazu einen zusammenfassenden Artikel geschrieben, der im renommierten Wissenschaftsmagazin Nature veröffentlicht wurde. [10]

Der Grund für den spektakulären Materieausbruch wurde auch von anderen Arbeitsgruppen untersucht und wird in eine kurzzeitige Folge von Pulsationen eingeordnet, die langfristige Pulsationen überlagern. Beteigeuze zeigt also in der Fluktuation seiner Helligkeit mehrere sich überlagernde kurz- und langfristige Veränderungen auf der Oberfläche, die zu erkennen schwierig ist. [11]


Beteigeuze ist also ein Stern, der sehr interessante astronomische Vorgänge sichtbar macht, die den rötlich erscheinenden Giganten umso faszinierender machen, wenn man ihn im Teleskop beobachtet. Dieser Stern ist neben wenigen anderen Sternen mit großen Teleskopen auch von der Erde aus flächig abbildbar und zeigt eine Parallaxe von ca. 50 Millibogensekunden (mas).

Mit all diesen Informationen im Hinterkopf lohnt es sich also umso mehr, die linke Schulter des Orion so oft es geht genauer zu betrachten.   


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Quellen:

[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Abd_ar-Rahman_as-Sufi

[2] Joyce et al., The Astrophysical Journal, 902:63 (25pp), 2020 October 10, https://iopscience.iop.org/article/10.3847/1538-4357/abb8db/pdf

[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Roter_%C3%9Cberriese

[4] Wheeler et al., „The Betelgeuse Project: constraints from rotation“ in Monthly Notices of the Royal Astronomical Society, Volume 465, Issue 3, March 2017, Pages 2654–2661, https://doi.org/10.1093/mnras/stw2893

[5] Heger et al., „How Massive Single Stars End Their Life“ in The Astrophysical Journal, 591:288–300, 2003 July 1 https://iopscience.iop.org/article/10.1086/375341/pdf

[6] Chelsea Gohd, NASA  https://science.nasa.gov/missions/hubble/what-is-betelgeuse-inside-the-strange-volatile-star

[7] Goldberg et al. 2020, „Apparent Magnitude of Betelgeuse as a Type IIP Supernova“ in Res. Notes AAS 4 35

[8] Davies et al. 2022, „Explosion imminent: the appearance of red supergiants at the point of core-collapse“ in Monthly Notices of the Royal Astronomical Society, Volume 517, Issue 1, November 2022, Pages 1483–1490 https://doi.org/10.1093/mnras/stac2427

[9] https://www.eso.org/public/germany/videos/eso2003c

[10] Montargès, M., Cannon, E., Lagadec, E. et al. „A dusty veil shading Betelgeuse during its Great Dimming“ in Nature 594, 365–368 (2021). https://arxiv.org/pdf/2201.10551.pdf

[11] Dupree et al. 2022, „The Great Dimming of Betelgeuse: a Surface Mass Ejection (SME) and its Consequences“ in The Astrophysical Journal, 936:18 (9pp), 2022 September 1

https://arxiv.org/pdf/2208.01676.pdf

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